Freitag, 16. Dezember 2016

Wenn du etwas kannst, sei stolz darauf

Ich habe oft erlebt, das gerade solche Leute, die besonders talentiert sind, sich nicht trauen, ihre Kunstwerke, Texte oder was auch immer einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Gerade bei introvertierten Zeitgenoss(inn)en scheint das der Fall zu sein. Sie haben ständig das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Aber das ist nur eine Illusion.

Obwohl dieses Gefühl nur eine Illusion sein mag, ist es doch ein manifestes Problem. Es verleitet die von ihm Betroffenen dazu, ihre Arbeiten nicht herzuzeigen, oder aber, was fataler ist, Arbeiten nicht fertigzustellen. Manche bleiben auch auf einem Niveau, dass ihren Potenzialen nicht entspricht, um sich nicht der Gefahr des Scheiterns aussetzen zu müssen.

 

Den Knoten lösen


Wie aber kann man dem entgegentreten. Ein Vergleich mit anderen ist aller Wahrscheinlichkeit nach kontraproduktiv, da das meist dazu führt, dass man sich mit Anderen vergleicht und so auf die (vermeintlichen) Unzulänglichkeiten des eigenen Schaffens gestoßen wird. Gerade bei sozialen Netzwerken kriegt man so viele Arbeiten von anderen präsentiert, die ebenfalls gut oder vielleicht sogar besser sind, als das, was man auf seinem aktuellen Stand hinbekommt, so dass man eher heruntergezogen wird und die eigenen Arbeiten entwertet.

Ich denke, dass der einzige Weg, aus dieser selbstgestellten Falle herauszukommen, darin liegt, dass man hinnimmt, dass die eigenen Arbeite weit vom eigenen Anspruch entfernt sind, und sie dennoch zeigt, während man im Hintergrund weiter daran arbeitet, sein eigenes Können zu perfektionieren, soweit das eigene Talent trägt. Man muss sich klar sein, dass man nicht ein vollendetes Werk zeigt, sondern vielmehr hinausgeht, um der Welt zu zeigen, welchen Weg man eingeschlagen hat. Wenn man seine Projekte weniger als abgeschlossene Werke und mehr als Wegmarken auf dem Weg hin zu einem Gesamtziel sieht, dann fällt es auch leichter, diese einem Publikum zu präsentieren.

 

Lob muss man aushalten


Ich habe bei vielen Leuten, die ich für talentiert halt gesehen, dass sie so gut wie überhaupt nicht mit Lob umgehen können. Das ist auch verständlich, wenn man bedenkt, dass viele Künstler (Maler, Autoren usw.) das oben geschilderte Problem haben. Man selbst glaubt nicht an die Qualität des eigenen Produkts und kann deshalb auch das Lob von Anderen nicht annehmen. Tatsächlich geht es aber gar nicht darum, wie man selbst sich mit seinem Werk fühlt, sondern darum, was die Anderen darin sehen, denn schließlich besteht das Publikum aus den Menschen, denen wir unser Werk präsentieren (und eventuell verkaufen) wollen. Lob muss man aushalten. So einfach ist das.

Es geht nicht darum, sich auf die eigenen Unzulänglichkeiten zu konzentrieren. Auf diese Weise hat man versagt, ohne überhaupt begonnen zu haben. Man tritt auch nicht an, um sich mit dem, was man tut gut zu fühlen, sondern dazu, den Zuhörern, Lesern, Betrachtern, das beste Erlebnis zu geben, zu dem man fähig ist, ganz egal, wie klein oder groß dieses Erlebnis auch sein mag. Und wenn man zum Beispiel auf einer Lesung auf die Schnauze fällt, dann ist das kein Grund, sich wimmernd in der Ecke zu verkriechen, sondern zu schauen: "Was habe ich falsch gemacht? Und was kann ich besser machen?" Man kann etwas scheiße machen, aber wenn man nicht einmal Scheiße baut, dann macht man nichts.

Dienstag, 6. Dezember 2016

Über Schreibratgeber, Kontrolle und die Angst des Autors vor dem Schreiben

Wenn ich mich in den verschiedenen Schreibgruppen zum Beispiel auf Facebook oder Google plus herumtreibe fällt mir immer wieder ein bestimmter Autorentyp auf: Ich möchte diesen den/die unsichere Autor(in) nennen. Besagter Typ ist in der Regel noch nicht lange (Hobby)autor und sich seiner Fähigkeiten und Ziele noch nicht so recht bewusst. Fasst immer bekommt ein(e) Autor(in) dieses Typs irgendwann den Tipp, einen der vielen Schreibratgeber zu konsultieren, sofern er/sie nicht schon von selbst danach gefragt hat. Als ob Schreibratgeber eine Lösung wären...

 

Es richtig machen

 

Dahinter steckt der Wunsch, es richtig zu machen, bzw. den Weg gesagt zu bekommen, wie man es richtig macht. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass einem die Schreibratgeber sagen, wie man "es richtig macht". Aber das ist genau die falsche Herangehensweise. Schreibratgeber sollte man nicht wie Bedienungsanleitungen lesen, die dem Autoren sagen, wie er die Elemente seiner Geschichte zusammenbauen soll, damit sie funktioniert (wenn es so einfach wäre, hätten Maschinen das Geschichtenschreiben schon längst übernommen) sondern eher wie ein Reiseratgeber, die einem Autor ähnlich einem Touristen Anregungen geben, welche Stelle und Aktivitäten im großen Feld der Literatur für ihn interessant sein können.

Es gibt kein Patentrezept

 

Man muss sich klar darüber sein, dass es nicht den einen Weg oder das eine Patentrezept gibt, um einen guten, literarischen Text zu schreiben, sondern darum, sich die Mittel anzueignen, die einem ermöglichen, eine adäquate Story zu Papier zu bringen. Ein Schreibratgeber zeigt dem Autor Möglichkeiten auf. Diese realisieren muss der Autor selbst. Letztendlich kommt man nur durch Übung und Ausprobieren dazu, ein besserer Autor zu werden. Die Wahrheit ist: Man muss jede Menge Mist schreiben, um am Ende wirklich gut zu werden. Und man darf dabei nicht vergessen, dass man als Autor nicht allein arbeiten muss. Im Gegenteil – sich mit anderen auszutauschen, kann einen selbst und die Anderen enorm weiterbringen, wenn die Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit beruht.

 

Freiheit und Selbstbeherrschung


Viele Autoren fühlen sich trotzdem verunsichert, wie sie schreiben sollen. Dahinter steckt m. E. die Angst, Kontrolle abzugeben. Aber das ist ein Fehler. Das höchste Maß an Beherrschung zeigt derjenige, der im richtigen Moment die Kontrolle fallen lassen kann. Das gilt nicht nur für das Schreiben, sondern auch für alle anderen Kunstformen. Um dorthin zu kommen, wo das Schreiben (oder was auch immer) wie selbstverständlich erscheint, braucht es aber, wie bereits gesagt, beständige Übung und Arbeit. Ein guter Schriftsteller wird nur der, der immer wieder von neuen sein Schreiben übt und an seinen Fähigkeiten schleift. Grenzen sind nur dazu da, um weiter hinausgeschoben zu werden. 


Man muss wie der Albatross werden, der zum ersten Mal auf die Klippe zu rennt. Je näher der Rand kommt, desto größer wird die Furcht und vielleicht bricht der Vogel seinen Start ein um das andere Mal ab. Doch dann schließlich hat er den Rand erreicht und springt. Und statt zu stürzen wird er von der Luft getragen, fliegt und das Fliegen ist so viel besser als jeder Schritt, den er auf der Erde machen musste.


Dieser Albatross bist du.

Freitag, 5. August 2016

Manga und Anime als Inspirationsquellen für Pokemon

In meinem letzten Post hatte ich mich mit mit den Pokemon und ihrer Wirkung als Marketing-Instrument befasst. Heute geht es darum zu schauen, aus welchen Quellen das Pokemon-Universum schöpft.

Denn natürlich entsteht eine Serie wie Pokemon und das mit ihr verbundene Spiel nicht im leeren Raum, sondern haben Vorläufer und Quellen, auf die sie sich stützen (die Verbindung zwischen Tamagotchi und Pokémon wurde bereits erwähnt). Eine dieser Traditionslinien ist die Form des japanischen Zeichentrickfilms (Animé) und Comics (Manga), die im Wesentlichen die Erscheinung der Figuren bestimmen. Typisch ist für viele Mangas und Anime der Stil der Figuren, der ein kindliches Aussehen mit unrealistisch großen, runden Augen verbindet. Hinzu kommt im Falle des Anime eine charakteristische Farbgebung, die meist flächig gehalten ist und Schatten nur andeutet, indem die Schattenpartien etwas abgedunkelt werden 1.

Ebenfalls für Anime charakteristisch ist, dass oft nur Teile der Figur animiert werden, während der Rest unbeweglich bleibt. Dies gilt besonders für Gesichtsanimationen. Vergleicht man zum Beispiel einen Donald Duck-Cartoon und Pokémon, so fällt sofort der Unterschied auf. Donalds Körper ist ständig von Bewegung erfüllt, die Pokémon wirken teilweise wie erstarrt - besonders in den Kampfszenen, in denen sich nicht die Figur, sondern nur der Hintergrund bewegt 2.
Begründet hat diesen spezifischen Stil des modernen Manga ein Autor namens Osamu Tezuka, dem es gelang, westliche (durch importierte Disney-Produkte geprägte) Einflüsse und japanische Erzähl- und Zeichentechnik miteinander zu verschmelzen 3. Tezuka wurde 1928 in Osaka geboren. Seine Eltern waren stark an Kunst interessiert, so dass er schon früh und oft Kontakt zu dieser hatte. Dennoch startete er seine Karriere erst nach dem zweiten Weltkrieg im Jahr 1950, wo er Kimba, der weıße Löwe, als Manga zeichnete. 1963 folgte seine erste Animeserie Tetsuwan atomu 4.

Nahezu alle Quellen sind sich einig, dass Tezuka den typischen Anime/Manga-Stil begründet hat. Als Beispiel sei hier nur Jesse Stanley zitiert:
Osamu Tezuka’s techniques have had a profound impact on all manga and anime that followed him. For instance, the large, sparkling, anatomically incorrect eyes that seem to be prevalent in manga and anime these days can all be attributed to Tezuka’s influence, as this was the style that he drew in. He was also one of the first writers to try and tackle serious mature themes in his work, paving the way for such deeply philosophical and introspective films as Ghost in the Shell and Mononoke Hime. His influence on the Japanese animation market could be roughly paralleled to Disney’s. The Seibu Lions baseball team uses one of his most famous characters, Leo the Lion as their mascot, and Atomo (known as Astro Boy in the US) sells a number of products on TV today. He is still widely popular in Japan today, with a large fan base, both young and old 5.

Lange Tradition

Mangas bzw. deren Vorläufer haben in Japan eine lange Tradition, die sehr weit in die japanische Geschichte zurückreicht. Schon vor Hunderten von Jahren wurden Bilder mit erzählendem Inhalt angefertigt, aus deren Tradition der Formenschatz des Mangas schöpft.

Da wäre zunächst der Toba-e Stil zu nennen, welcher auf 1053 n. Chr. datiert 6. Unmittelbarer Vorgänger der Mangas ist der Ukiyo-e-Stil,I der den meisten Europäern als japanischer Holzschnitt in der einen oder anderen Form bekannt sein dürfte (z. B. die Holzschnitte Katsushika Hokusais, der übrigens seine Skizzenbücher ab 1812 Manga (Man = spontan, ga = Bild) nannte. In diesen tauchten schon einzelne Bildfolgen auf.) 7. Aus ihnen entwickelte sich die spezifische Form des Mangas.
The tradition of Japanese prints changed with westernization. Manga developed from these prints in a sort of hybrid between Western comics and Japanese prints whose flavor was distinctly Japanese. But why is manga so popular? American comic books have been reduced to children’s fare, not allowed to grow as literature or art very much. The stories are often unsophisticated and childish. But manga is not relegated to the side just because they are comic books 8.
Der Japanische Comic ist also kein reiner “West-Import”, sondern hat ganz eigene, typische Stilmerkmale, wobei große, runde Augen, bizarre Frisuren, die allen physikalischen Gesetzen trotzen und intensive Lichteffekte ebenso zu den charakteristischen Merkmalen gehören wie bestimmte Bewegungsabläufe und Gesten im Stile von »THE MATRIX« 9.

Es gibt zudem einige wichtige Unterschiede, die Mangas aus der Masse der Comics herausheben. Manga werden von hinten nach vorn gelesen. Sie sind (aufgrund der hohen Seitenzahlen) fast ausschließlich in schwarzweiß gedruckt. Bevor ein Manga in Buchstärke aufgelegt wird, wird zunächst eine Vorabserie in Heftform gedruckt. Diesen Heften sind Antwortkarten an den Verlag beigelegt, die dazu dienen, die Leserresonanz abzufragen und das Produkt den Wünschen des Publikums anpassen zu können. Erst dann wird das eigentliche Manga veröffentlicht.

Eine eigene visuelle Grammatik

Der wichtigste Unterschied zum amerikanischen oder europäischen Comic ist jedoch, dass das Manga einer anderen visuellen Grammatik folgt. So werden die Handlungsabläufe in Mangas sehr viel stärker durch einzelne Bilder strukturiert, als dies bei ihren amerikanisch-europäischen Gegenstücken der Fall ist. Wird zum Beispiel in einem amerikanischen Comic eine Handlung in einem einzigen Bild (z. B. dem Gang durch eine Bahnhofshalle) dargestellt, bricht der Manga diese Situation in eine Reihe visueller Splitter auf. Zunächst könnte man vielleicht ein Bild des Zuges sehen, dann eine Menschenmenge, im nächsten Bild ein Gesicht, im darauf Folgenden ein zweites, schließlich zwei Menschen, die über einen Bahnsteig laufen. Auch die Sprache wird wesentlich sparsamer venNendet. Reihen sich im amerikanisch-europäischen Comic Sprechblase auf Sprechblase aneinander, so wird im Manga vieles durch Körpersprache, Gestik und Mimik der Figuren ausgedrückt. Gerne werden auch Stilllebenartige Bilder genommen, um Stimmungen einzufangen 10.

Zu beachten ist, dass Mangas nicht notwendigerweise Kinderliteratur sein müssen, sondern alle Alterssparten und Niveaustufen abdecken. Interessant als beiläufige Anmerkung mag sein, dass Mangas kein Tabu kennen 11, das die Darstellung von Tod oder Sexualität verbietet, wie es in europäischen und amerikanischen Comics häufig zu finden ist. Mangafiguren müssen auch nicht dem »Superheldenklischee« entsprechen. Manga-Charaktere sind in der Regel vergleichsweise normale Personen, die ein Privatleben besitzen, zur Schule gehen usw., die aber bestimmte Züge haben, die sie zu etwas besonderem machen. In der Regel haben sowohl “Gute” als auch “Böse” differenzierte Ziele, die ihr Handeln erklären und plausibel machen 12.

Pokémon, das Hong Kong-Kino und Godzilla

Auch das Genre des Hong Kong-Kinos mit ihren Martial Arts-Filmen hat einen gewissen Einfluss auf die Darstellung der Pokémon, speziell, was die Posen und Attacken der Tiere angeht. Allerdings ist dieser Einfluss nicht über zu bewerten, da es sich wohl eher um ein generelles Phänomen der japanischen Populär-Kultur handelt.

Auch die Godzilla-Filme haben Einfluss auf die Pokémon gehabt. Hierzu gehört zunächst die Idee, dass es fabelhafte Monster __ gibt, die gegeneinander antreten, um sich gegenseitig zu bekämpfen. Ferner sind die Urweltmonster in der Lage, außergewöhnliche (PSI-)Kräfte zu venNenden (So kann Godzilla atomare Strahlen speien.). Zu guter Letzt lässt sich auch das generelle Design der Pokémon auf die Godzilla-Filme zurückführen. So erscheint zum Beispiel ein Kampf zwischen Sichlor und Glurak wie eine verniedlichte Version des Kampfes zwischen Godzilla und lg“ Destroyah (ein Insektenwesen), allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass bei letzteren eine ganze Stadt winziger Modelle in Schutt und Asche gelegt wird.

  1. Als Prototypen für ein Anime mögen die Serien »Heidi« und »Captain Future« dienen.
  2. Man muss allerdings zugestehen, dass dies nicht nur auf eine animespezifische Ausdrucksform zurückzuführen ist, sondern sich auch auf die Kampfszenen des Computerspiels bezieht, in denen die Figuren in ganz ähnlicher Weise gegenübergestellt werden.
  3. Es gab zwar auch schon zuvor als Manga bezeichnete Comics (der erste jap. Comic datiert auf 1902), die sich an westlichen Vorbildern orientierten, der besondere, charakteristische Stil des heutigen Mangas leitet sich aber eindeutig von Tezuka ab. vgl. Knigge, Andreas C. :, »Comics - vom Massenblatt ins multimediale Abenteuer«, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 242.
  4. vgl. Knigge, Andreas C. :, »Comics - vom Massenblatt ins multimediale Abenteuer«, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 243 u. 244.
  5. Stanley, Jesse:, »Anime lOl«; http://www. earlham. edu/ ~iapanink/japanink_anime101.html
  6. Ukiyo-e was all the rage in Europe, very much influencing the emerging Impressionist Movement during the 1800’s. Van Gogh, Monet and others were experimenting with the vibrant colors and painting style ol Japanese prints. In Japan, they had been very popular amongst the merchant and common townspeople during the Edo Era’s peace and prosperity. Printing was cheap and the products sold well, much like manga is today. There was just something about the prints that made them accessible to the masses. The most popular of the prints were ukiyo-e. They depicted illustrations of the “Floating World,” a term that was used to describe the air that of uncertainities in life and the subsequent search for sensual pleasures to sweeten one’s feeling of hopelessness. Like so much of old Japanese art, ukiyo-e projected a sparse reality: without dwelling on anatomy and perspective, they tried to capture a mood, an essence, and an impression. Vgl. Santiago, Ardith:, “Manga, Beyond Ukiyo-e: Aesthetics, Postmodernism and Japan”; http://www.hanabatake.com/research/beyond.html
  7. Toba-e is named in honor of a Buddhist monk known as Toba (A. D. 1053-1140). These works were often humorous. One of the most famous examples is the hilarious Chôjôgiga, or “Animal Scrolls,” a 121h-century satire on the clergy and nobility. They were printed again and again to entertain townspeople.
  8. Santiago, Ardith:, “Manga Beyond Ukiyo-e: Aesthetics, Postmoderism and Japan"; http://hanabatake.com/research/beyond.html
  9. THE MATRIX transportiert die Optik des Animes in den Realfilm.
  10. vgl. McCloud, Scott, „Comics richtig lesen“, Hamburg 1994, S. 111.
  11. lzawa, Eri:, “the new stereotypes of anime and manga”; www.ex.org, ex vol. 2 issue 8.
  12. vgl. lzawa, Eri:, »What are Manga and Anime?«, www.mit.edu:8001/people/rei/Exgl.html

Sonntag, 17. Juli 2016

SCHNAPP. SIE. DIR. ALLE !!! - Kinderkultur und Marketing

 
 
Warum sich als Autor und Literaturblogger mit einem japanischen Computerspiel und der dazugehörigen Zeichentrickserie befassen? Diese Frage könnte man sich stellen, wenn man vom üblichen Klischee ausgeht. Viele würden sogar sagen, dass beides mit Literatur nichts zu tun hat. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass die Pokémon jenseits der Bereiche „guter“ Kinderliteratur über Jahre das Spiel, Rezeptions- und Konsumverhalten zahlreicher Jugendlicher nachhaltig geprägt haben und nun in der Vorstellungswelt der Kinder verankert sind. Grund genug, sich die mit Beidem auseinander zu setzen.

Es wäre auch falsch, die Pokémon so ohne weiteres als „Schund“ abzutun, denn auch wenn sie pädagogisch zweifelhaft sein mögen, kann man ihnen nicht absprechen, dass sie ein geschickt gemachtes Instrument zur Vermarktung eines Produktes sind. Indem der gesamte Pokémon-Komplex alle Bereiche der Lebenswelt seiner jugendlichen Konsumenten (und nicht nur diesen) mit Computerspielen, Fernsehserien und Merchandisingartikeln durchsetzt, bleibt diesen kaum eine Chance, sich ihm zu entziehen - eine Wirkung, die ein schnell und oberflächlich hingeworfenes Konzept niemals hätte erreichen können.

Die Pokémon entstanden Mitte der 90er Jahre 1 als Computerspiel für den Gameboy 2 der Firma Nintendo und können in gewisser Hinsicht als Nachfolger des Tamagotchis 3 betrachtet werden, wobei sich ihr Name aus dem englischen “Pocket” und “Monster” zusammensetzt 4. Erste Konzeptionen zu diesem Spiel wurden im Jahre 1990 entworfen und über einen Zeitraum von sechs Jahren entwickelt, wobei sich der Erfinder des Spiels, Satoshi Tajiri, von der Idee eines Grillenkampfes inspirieren ließ 5. In Deutschland (wie auch in anderen Ländern) wurde die Vermarktung der Pokémon durch eine massive Marketingkampagne eingeleitet, die sukzessive die jugendliche Kundschaft auf das zu kaufende Spiel vorbereitete. Bevor dieses überhaupt erhältlich war (im Jahr 1999) 6, strahlte der Privatsender RTL II die gleichnamige Zeichentrickserie aus, in der anhand eines Protagonisten namens „Ash“ der Spielverlauf erzählerisch dargestellt wurde 7. Erst dann folgte die Lancierung des Spieles auf dem Markt einschließlich der dazugehörigen Merchandisingartikel wie z. B. Stofftiere, Kugelschreiber, Blöcke, Tassen usw. Später wurde die Palette der Pokémon-Spiele um die sog. “Editionen” enreitert, die dasselbe Spiel mit anderem Figurenbestand darstellten. Von Anfang an wurden pro Edition zwei leicht verschiedene Versionen des Spiels ausgegeben, deren Figuren via Datentransfer von einer zur anderen Spielkonsole übertragen werden konnten. Die marketingtechnische Verbindung eines Computerspiels mit Merchandisingartikeln, Comic-Büchern (Mangas) und Zeichentrickserien (Anime) entspricht der üblichen Vorgehensweise der japanischen Spiele- und Medienindustrie. Sowohl werden Manga und Anime in Computerspiele als auch Computerspiele in Manga und Anime umgesetzt, wobei die Pokémon hier keine Ausnahme bilden 8. Jean-Marie Bouissou schreibt hierzu :
»The japanese pop culture industry recreated on a worldwide scale the process that led to its enduring process at home, trough the marketing of licensed goods, videos and plastic toys en masse. Since the bulk of profit comes from these goods, manga and TV-Series can be sold at almost no profit. Their Function is not to make big money, but to open the way to licensed goods. […] Manga help to ascertain the taste of the consumers, then are used as trendsetters. They bring only a meager profit, but are unvaluable tools for merchandizing and advertizing. TV-Series provide hours and hours of free advertizing.« 9

Bindungsstrategien

Das Konzept der Pokémon (Spiel und Serie) stellt eine geschickte Verbindung zwischen verschiedenen menschlichen Bedürfnissen her, um auf diese Weise das zu verkaufende Produkt an das Kind zu bringen.

Da wäre zunächst der Wunsch nach einem Gefährten, mit dem man spielen kann und für den man - in einem gewissen Rahmen natürlich - verantwortlich ist. Dieser Aspekt, den man auch den Pflegeaspekt nennen könnte, ist vom Tamagotchi übernommen. Es geht aber nicht nur darum, sich um seinen Spielgefährten zu kümmern. Als „Trainer“ hat man die Macht, über die Entwicklung und Fähigkeiten seines Pokémons zu bestimmen. Letztendlich wird Pflege auf Dressur bzw. Training reduziert und mit Macht gleichgesetzt.

Als zweites Bedürfnis kommt der Sammeltrieb ins Spiel, der im Untertitel der Serie aufscheint: “Schnapp sie dir alle”. Er dient im Wesentlichen dazu, die Motivation zum Spielen aufrecht zu erhalten. Gestützt wird dies durch die Möglichkeit, Pokémon-Daten auszutauschen. Ähnliches geschieht im Falle der Sammelkarten, die Spiel- und Sammeltrieb in einem Produkt befriedigen und so gewissermaßen ihr eigenes Merchandising betreiben, da sie den Bedarf nach neuen Karten ständig neu anfachen (Eine Eigenschaft dieser Spiele, die man als ethisch fragwürdig ansehen kann, weil sie die Spieler in ein Abhängigkeitsverhältnis setzt, aber dafür ökonomisch um so effizienter ist.).

Das dritte Bedürfnis ist das Verlangen nach Wettstreit. Indem man sein Pokémon gegen andere Pokémon antreten lässt, kann man feststellen, ob man das Spiel beherrscht - also ein guter Trainer ist oder nicht. Auch hier wird durch die Möglichkeit, gegen einen Freund zu spielen, die Bindung an das Spiel verstärkt.
Indem man nun die oben genannten Bedürfnisse in einem Produkt miteinander vereint, bietet sich für das Marketing eine Vielzahl von Möglichkeiten, den kindlichen Kunden an das Produkt zu binden. Das Bedürfnis nach einem Gefährten, der im Falle der Pokémon auch noch pflegeleicht ist und abgestellt werden kann (was sehr bequem ist), wenn man keine Lust auf ihn hat, erzeugt eine emotionale Bindung an das Spiel, die nicht übersehen werden darf. Nicht umsonst ist Pikachu eines der Haupt-Pokémon innerhalb der Serie, obwohl Pokémon vom Pikachu-Typ spieltechnisch gesehen allenfalls als durchschnittlich effiziente Spielfiguren anzusehen sind. Kubo Masakazu, verantwortlich für das Marketing der Pokémon-Filme, erklärt dies folgendermaßen:
»I believe that Pokémon’s success owes largely to our having placed Pikachu in a leading role. As people who have played any of the Game Boy versions of Pokémon know, this character is of little use in the video game; but it was just right for starring in the anime. First, it is cute enough to attract just about any woman, thanks to a winning character design. Second, the coloring is excellent. Yellow really stands out to the human eye; it is one of the three primary colors and also one of the traffic-light colors. On a traffic light, yellow signifies caution. The meanings of these signals are something that has been imprinted in people’s unconscious minds, so yellow and red characters are attention-getting. Yellow is better than red, moreover, because there are very few competitors of that color. The only other famous yellow character that l can think of is Winnie-the-Pooh, which means that when people see Pikachü from a distance, they could mistake it for Pooh but for no other character. This is very important in terms of easy recognition« 10
Aufgabe der Serie ist es nun, den Kindern anhand einer protoypischen Figur zu vermitteln, wie man das Spiel “richtig” spielt. Die prototypische Figur führt vor, wie man die verschiedenen Spielfiguren geschickt einsetzt, schafft die Illusion einer Welt um das Spiel, die dieses allein nicht erzeugen könnte. Die Pokémon bilden in dieser Welt eine Art materieller Schutzgeister, deren Fähigkeiten den Protagonisten vor den Gefahren seiner Welt schützen.

Zudem baut die Serie ein Wertesystem auf, welches die Welt des Spiels organisiert und erläutert. Neben der simplen Differenz zwischen Gut und Böse, die durch Ash samt Begleitern und seinen Gegnern vom Team Rocket aufgespannt wird (wobei der Unterschied nicht wirklich klar herauszukristallisieren ist, bleiben doch „Gut“ und „Böse“ seltsam leer), könnte man die Arenaleiter und Dr. Eich als Repräsentanten der Erwachsenenwelt ansehen, die aber nur am Rande der Handlung eine Rolle als limitierendes Element oder Ratgeber spielen. Indem die Welt der Pokémon im Wesentlichen eine Welt der Kinder und Jugendlichen ist, erleichtert sie die Identifikation der Kinder mit ihren „Helden“ 11.

Die Verschmelzung von Unterhaltung und Marketing

Die Pokémon-Zeichentrickserie ist - obwohl erzählerisch simpel - im Zusammenspiel mit dem zugrunde liegenden Spiel und den diversen Merchandisingartikeln ein effizientes Werkzeug zur Vermarktung eines Produkt- Komplexes. Sie bietet dem Produzenten des Spiels regelmäßige, kostenlose Werbung, die zudem in harmloser Gestalt daherkommt, so dass ihr Werbecharakter für die Rezipienten nicht offensichtlich ist. Hierbei kommt der simplen und sich ständig wiederholenden Erzählweise die Bedeutung zu, die Werte und Inhalte des Spieles zu transportieren, um die Kinder auf das zu kaufende Spiel einzustimmen.

Sie illustriert die dem Spiel zugrunde liegenden Prinzipien des Trainierens, Sammelns und Wettstreitens und gibt ihm einen Hintergrund, den das Spiel alleine nicht erreichen könnte. Dabei ist es wichtig, zwischen animespezifischen und nur für die Pokémon charakteristischen Stilelementen zu differenzieren, will man verstehen, wie die Serie aufgebaut ist. Erst wenn man klar erkennen kann, was über den Merchandising-Charakter der Serie hinausweist, ist man in der Lage, in ihr mehr zu sehen als ein schrilles Spektakel zur Beeinflussung von Kindern. Erst dann kann verstehen, warum die Pokemon seit fast dreizig Jahren erfolgreich sein können.

Im Folgeartikel wird es eine kleine Einführung in die Welt der Mangas und Animes geben.

  1. 1996. vgl. umw.characterproducts.com/info/character_historys/Pokémon_doon~ay.htm
  2. Ein kleines, tragbares Videospielgerät.
  3. Das Tamagotchi könnte man als elektronisches Haustierbezeichnen, welches in Form eines kleinen, eiförmigen Videospiels daherkommt. Das Tamagotchi entwickelt ähnlich wie ein echtes Haustier nach seiner Aktivierung ein programmiertes Eigenleben mit Bedürfnissen (z. B. Hunger) und Eigenheiten (es kann z. B. brav oder ungezogen sein). je nach dem, wie man sein Tamagotchi erzieht, entwickelt es sich zu einem guten oder bösen Tier, wobei die jeweilige Entwicklung an einem kleinen LCD-BiIdschirm zu sehen ist (in Form eines kleinen Cartoon-Tieres).
  4. ln einer anderen Variante leitet sich Pokémon aus dem japanischen Poketto Monster ab, was ebenfalls soviel wie „Taschen Monster“ bedeutet. vgl. www.characterproducts.com/info/character_historys/Pokémon_doon~ay.htm.
  5. vgl. characterproducts.com/info/character_historys/Pokémon_doon~ay.htm.
  6. vgl. Retter, Hein:, „Kinderspiel zwischen Medien und Kommerz - Zum Wandel des Spiels in der gegenwärtigen Gesellschaft“, Abschnitt 4, Tübingen 20m; http://umwtu-bsde/institute/allg-paedagogik/kinderspiel.htm. (lm Folgenden zitiert als „Kinderspiel zwischen Medien und Kommerz“.).
  7. Der Pokémon-Serie war übrigens ein immenser Erfolg zu eigen, wie folgendes Zitat belegen mag: „In order to first categorise the use quantitatively here is a GfK ratings data sheet for Germany. ln the first half of 2000 over one million watched the programme that was transmitted at 2.45pm every day. The age structure, i.e. the age groups over which the viewers are distributed, shows that it is chiefly children who watch the programme. Pokémon appeals to boys and girls, rather more boys watching it. The market share, ie the figure that indicates what percentage of the respective age groups had their television sets switched on for this programme, indicates the enormous success of the programme, especially in the group of the 6-9-year-olds.« (AGF/GfK PC#TV; IP Deutschland). Götz, Maya:, „What fascinates children about Pokémon?“; Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZl); München 2001.
  8. Sie sind - nebenbei gesprochen - ein Beispiel für den ersten Fall (Computer zu Film und Comic).
  9. Bouissou, Jean-Marie: »Manga goes global«, Abs. 1-4, www.ceri-sciencespo.com/archive/avrilOO/artimb.htm
  10. Er erwähnt übrigens zuvor, dass Pikachu nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Mütter attraktiv sein sollte. vgl. Kubo Masakazu:, “Why Pokémon Was Successful in America”; http://www.japanecho.co.jp/docs/html/270217.html
  11. Hein Ritter schreibt hierzu: »Die emotionale Bindung des Kindes an die Produkte geschieht durch Identifikation. Durch Identifikation des Jungen etwa mit den superstarken Power Rangers, den Serienhelden von Fernsehfilmen, mit starken und damit wertvollen Pokemons erfolgen tiefgreifende Prägungen der Konsumbedürfnisse; die ldentifikationsfiguren werden durch Film, Comic, Computerspiel, Tonkassetten und Figuren auf vielfache Weise im Wertbewussts ein der Kinder verankert«. vgl. Retter, Heim, „Kinderspiel zwischen Medien und Kommerz“, Abschnitt 4, Tübingen 2000.

Freitag, 24. Juni 2016

Nicht nur für Neo: Lesungen im Cyberspace



Jeder Self Publisher oder Kleinautor, der nicht nur für sich selbst im stillen Kämmerlein schreiben will, hat früher oder später das Problem, dass er seine Texte dem Publikum näher bringen muss. Es über Facebook zu versuchen, ist ein naheliegender Weg. Sich um Lesungen in Cafés und anderen Lokalitäten zu bemühen ein anderer. Lesungen sind zudem lokal begrenzt und nicht jeder Bekannte aus den sozialen Medien kann die mitunter weiten Wege auf sich nehmen, um an einer solchenteilzunehmen. Thorsten Küper und seine Frau Kirsten Riehl haben dafür eine Lösung gefunden: Virtuelle Lesungen im Second Life. Im Interview verraten sie, wie es dazu gekommen ist und was den besonderen Reiz von Lesungen im Second Life ausmacht.

LF: Hallo Thorsten, hallo Kirsten, ihr macht nun schon lange virtuelle Lesungen auf der Plattform Second Life. was hat euch ursprünglich dazu veranlasst, diesen Weg zu gehen? 

Kirsten: Ich habe irgendwann ­ mehr zufällig als bewusst ausgewählt ­ Second Life entdeckt und war sehr fasziniert von der virtuellen Welt. Nach einer Weile hatte ich allerdings das Gefühl, dass ich die Möglichkeiten ausgereizt hätte und war kurz davor, dieser Welt wieder den Rücken zu kehren. Da habe ich mich auf die Suche nach Lesungen gemacht, weil ich dachte, dass Second Life dafür die ideale Plattform wäre und ich mir nicht vorstellen konnte, dass es das (noch) nicht gibt. Was soll ich sagen? Es gab keine deutschsprachigen Lesungen! Das war die Geburtsstunde der Literaturgruppe Brennende Buchstaben.

Thorsten: Mich hat zunächst fasziniert, welche Möglichkeiten SL Musikern und DJs bietet. Dabei habe ich mich sofort gefragt, wie sich das alles für Autoren nutzen lässt, die aus ihren Büchern lesen wollen.  

LF: Könnt ihr kurz beschreiben, was für euch das Besondere an Second Life ausmacht?

Thorsten: SL und vergleichbare Plattformen faszinieren mich, weil sie genau das sind, was ich mir seit den frühen C64 Zeiten gewünscht habe. Begehbare virtuelle Welten, in denen man auf Nutzer aus der ganzen Welt treffen kann. Noch dazu kann ich selbst einen eigenen Teil dieser Welt gestalten und das genau auf meine Wünsche zugeschnitten. Noch dazu kann ich mit anderen Bewohnern zusammen arbeiten und wir können gemeinsame Projekte entwickeln.  

Kirsten: Sich mit der ganzen Welt verbinden. Freundschaften schließen über geografische Grenzen hinweg.

LF: Was macht für euch den spezifischen Reiz von virtuellen Lesungen aus?

Kirsten: Wir können die Lesungen ausschmücken wie eine Theaterbühne und das immersive Erlebnis ist größer als bei einer Buchlesung im herkömmlichen Sinne, wo ich nur den Autor und sein Buch anstarren kann. In Second Life kann man Räume, Landschaften, ganze Szenerien nachbauen passend zur Geschichte.

Thorsten: Zwei Autoren, der eine in Wien, der andere im Ruhrpott können gemeinsam lesen und das 
vor einem Publikum aus ganz Deutschland, Österreich oder der Schweiz und am selben Abend kann auch noch eine Kollegin auftreten, die auf den kanarischen Inseln lebt. Das alles wäre im realen Raum nicht realisierbar. Noch dazu kann jedes denkbare Bühnenbild geschaffen werden. Von der historischen Ruine über eine futuristische Großstadt bis zur Raumstation ist alles möglich.  

LF: Seht ihr Unterschiede zu Lesungen im realen Leben?  Was macht für euch den Unterschied aus?

Kirsten: Es ist viel einfacher, sich zu Lesungen zu treffen und Schriftsteller/innen und Publikum zusammen zu bringen, weil wir im virtuelllen Raum unabhängiger sind von Entfernungen und Mobilität.

Thorsten: Einige Vorleser sind zunächst skeptisch, weil sie glauben, dass eine virtuelle Lesung zu abstrakt ist und der Kontakt zum Publikum fehlt. Als erstes stellt sich dann das Lampenfieber ein. Es ist dasselbe wie bei einem echten Auftritt. Dann machen sie selbst die Erfahrung, dass die Anwesenheit des Publikums spürbar ist und dass das Feedback genau so intensiv sein kann, wie bei einer Lesung auf Messen, Cons oder anderen Veranstaltungen. Die meisten sind überrascht darüber, wie sehr die Zuhörer mitgehen und sich bemühen, den Autor auch wissen zu lassen, sie ihm tatsächlich zu hören. Noch dazu können die Gäste nachher selbst per Mikrofon Fragen stellen oder Kommentare abgeben. Ich selbst habe "Echte" Lesungen erlebt, bei denen das Publiukum viel hölzerner reagiert hat, als Avatarzuhörer im Metaversum.  

LF: Lesungen, die nicht im virtuellen Raum stattfinden, sind oft nur mäßig besucht. Wie sieht das im Second Life aus?* 

Thorsten: Das kann uns natürlich auch hier passieren, allerdings sind es erfahrungsgemäß meistens zwischen 20 und 25 Zuhörer. Oft auch mehr. Der Spitzenwert beim BB E­Book Event 2016 lag bei 40 Zuhörern. Den absoluten Rekord hält Anja Bagus mit 50 Gästen bei einer Halloween Lesung.  

Kirsten: Am Anfang, als wir noch nicht so bekannt waren, erging es uns ähnlich. Da haben wir um jeden Zuhörer gekämpft. Mittlerweile besuchen im Schnitt 25 bis 30 Avatare eine Lesung, und manchmal sitzt vor dem Bildschirm eines Avatars auch mehr als eine Person.
 
LF: Wie schätzt ihr euer Publikum ein? Ist es engagierter als das übliche Publikum?*

Thorsten: Ob sie engagierter sind als andere Zuhörer kann ich nicht beurteilen. Was mir auf Cons auffällt ­ also im Bereich der Fantastik ­ ist eine gewisse Trägheit der Fans. Da bleiben Lesungen unbesucht, während man sich auf den Gängen oder an der Theke tummelt und die eigentlichen Programmpunkte ignoriert. Das kann man natürlich schlecht mit einer virtuellen Lesung vergleichen. Unsere Zuhörer erscheinen regelmäßig. sie kostümieren sich passend,  sie unterstützen uns bei der Werbung, bringen Freunde mit, schreiben sogar längere Blogpostings über Lesungen. Sie haben offensichtlich Spaß daran und sie erscheinen aus Interesse, nicht nur um höflich zu sein. 

Kirsten: Ja ich denke schon. Wir haben etliche Besucher/innen, die nicht nur rezipieren, sondern auch aktive Unterstützung anbieten. Es ist ja mit dem Einladen des Autors nicht getan. Hinzu kommt die Werbung, und wir sind darauf angewiesen, dass die wiederum in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Dann haben wir Leute, die gut darin sind, Bilder von den Lesungen zu machen, andere bloggen über die Events und erhöhen so den Bekanntheitgrad. Nicht zu vergessen sind die Leute, die die Kulissen bauen. Da entstehen richtige Kunstwerke. Es steckt Herzblut drin.


LF: Was macht euer Projekt einzigartig und gibt es Konkurrenzprojekte?

 Kirsten: Nein Konkurrenz haben wir nicht. Nicht, weil wir die Einzigen wären, die Lesungen machen würden, das machen Andere auch, sondern weil ich das nicht als Konkurrenz bezeichne. Uns wird nichts weggenommen, wenn andere auch Lesungen anbieten. Wir haben Freunde, die unsere Lesungen besuchen und selber auch Lesungen anbieten. Lesungen haben keinen Abnutzungseffekt wie Sahnetorte ­ wenn man die aufgegessen hat, ist sie weg.

Thorsten: Es gibt verschiedene Venues in SL, die ebenfalls Lesungen anbieten. Samiraa Addersteins Yúcale Coffee Gallery, BukToms Pegasus Bibliothek, das SL Planetarium von Bastian Barbosa oder Clairediluna Chevaliers SL Stuttgart . Wir stehen aber nicht in Konkurrenz, wir basteln meistens an gemeinsamen Projekten. Und ein Autor, dem es Spaß gemacht hat, bei uns vorzulesen, wird das natürlich auch gern für andere Gastgeber tun.  

LF: Wenn ihr den Lesern einen Tipp in Bezug auf das Autor­Sein geben solltet, welcher wäre das?

Thorsten: Sieh zu, dass du dafür Geld bekommst.  

Kirsten: Hm, da fällt mir nichts ein. "Habe Talent zum Schreiben!" ­ ist das ein brauchbarer Tipp?
  
Thorsten, Kirsten, ich danke euch für das Gespräch.  

Montag, 30. Mai 2016

Selbstpubliziert und kleinverlegt: Eine Community für Kleinverlage, deren Autoren und Selfpublisher








 
Claudia Klaedkte, deren Blog Literasophie ich sehr schätze, weil es tiefer als die üblichen Buchblogs geht, hat sich Gedanken darum gemacht, wie man Self Publishern und Autoren aus Kleinverlagen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen kann. Aus diesem Grund hat Claudia die Website „Selbstpubliziert und kleinverlegt“ ins Leben gerufen, mit der sie diesen Autoren eine Plattform bieten will. Im folgenden Post wird sie ihr Projekt vorstellen. 

Selfpublisher und Autoren, die bei kleinen Verlagen unter Vertrag sind, sitzen in mancherlei Hinsicht im selben Boot. Ihre Bücher finden selten einen Platz in einer Buchhandlung, und auch in Sachen Werbung ist Eigeninitiative gefragt. Daher möchte ich beiden Gruppen sowie kleinen Verlagen eine Plattform bieten.

Viele Autoren tun sich schwer damit, eine eigene Website aufzubauen, möchten sich aber gerne im Internet präsentieren. Jenen, die ihre Bücher entweder in einem kleinen Verlag oder als Selfpublisher veröffentlichen, bietet „Selbstpubliziert und kleinverlegt“ die Möglichkeit, eine Autorenseite sowie Buchseiten anzulegen. Auch für Kleinverlage gibt es eine entsprechende Rubrik. Wer möchte, kann auch Artikel für den dazugehörigen Blog verfassen. Das Projekt ist noch recht jung, die ersten Autoren- und Verlagsseiten sind aber bereits online. Ausführliche Anleitungen erleichtern den Einstieg für jene, für die das Gestalten einer Webseite völliges Neuland ist. Sollte es dennoch Probleme geben, gibt es im Forum eine eigene Rubrik für technische Fragen.

Jeder, der sich für gute Bücher jenseits der großen Publikumsverlage interessiert, kann sich registrieren. Danach besteht zunächst nur Zugriff auf das Forum, in dem sich Autoren, Verleger und Leser nach Herzenslust austauschen können. Für die Erstellung von eigenen Seiten oder Blogartikeln ist eine zusätzliche Freischaltung nötig, eine kurze Nachricht genügt. Alle Beiträge werden vor der Veröffentlichung überprüft und so zeitnah wie möglich freigeschaltet.

Mit dieser Website möchte ich Autoren und Kleinverlagen eine Plattform bieten, um sich und ihre Werke zu präsentieren und sich untereinander und mit interessierten Lesern auszutauschen. Der Grundstein dafür ist gelegt.

Auf selbstpubliziert.de könnt ihr euch die Plattform selbst angucken.

Claudias  persönlichen Blog findet ihr unter literasophie.de

Freitag, 20. Mai 2016

Wunder der Technik: Auf dem Weg zum Sechs-Millionen-Dollar-Autor?



Auf meinen Wanderungen durch die verschiedenen sozialen Netzwerke begegne ich immer wieder Autoren und Autorinnen, die auf das eine oder andere, speziell für Autoren konzipierte, (nicht unbedingt billige) Textverarbeitungsprogramme schwören, z.B. Scrivener oder Papyrus. Grundsätzlich ist auch nichts dagegen zu sagen, dass man sich elektronische Unterstützung holt. Was mich aber stört, ist, dass es einige gibt, die a) glauben, dass man ohne ein solches Programm nicht ordentlich schreiben kann und b), dass das bloße Vorhandensein dieser Software automatisch einen guten/besseren Schriftsteller aus seinem Besitzer macht.

Sein wir doch mal ehrlich: Selbst die beste Software kann mangelndes Talent nicht ersetzen. Nur weil ich mir 'Papyrvener' oder 'Scrivenus' auf meinen Rechner geladen habe, habe ich nicht automatisch bessere Ideen oder werde sprachlich fitter (letztendlich ist die Stilkontrolle von Papyrus nur eine Prothese). Aus Lieschen Müller und Hannes Strunk wird eben keine Lindsey Stirling und kein David Garret, nur weil man ihr oder ihm eine Stradivari in die Hand drückt.

Der Grund ist einfach: Selbst das beste Instrument braucht jemanden, der es zu bedienen weiß, ansonsten ist es zu nichts nutze. Es ist wesentlich wichtiger, die Grundlagen des Schreibens zu beherrschen als darauf zu hoffen, dass die Technik bzw. ein Algorithmus meine Fehler schon ausbügeln wird. Andererseits kann ein wenig technische Unterstützung dazu dienen, dem Autor etwas Arbeit abzunehmen (zumindest denen, die so eine Unterstützung brauchen). Für mich selbst taugt so ein Programm nichts, weil ich nach fünfzehn Jahren in einer Zeitschriftenredaktion genug Erfahrung und Routine habe, dass mich der Krimskrams, der in die einschlägigen Programme eingebaut ist, nur ablenkt. Ich bin inzwischen so weit, dass ich, um mich nicht unnötig abzulenken, meine Texte mit dem Markdown-Editor Ghostwriter schreibe. Was mich ebenfalls abschreckt, ist der zumindest für Papyrus nicht eben geringe Preis von aktuell 179 Euro, zumal es kostenlose Alternativen gibt. Ich sehe einfach nicht ein, fast zweihundert Euro in ein gehyptes Programm zu investieren, wo es doch quelloffene Alternativen gibt, die gar nichts kosten.

Einige Beispiele dafür sind:
Etwas schlichter geht es bei den folgenden Editoren zu:

Donnerstag, 24. März 2016

Jenseits der schwarzen Berge: Eine Selbstbeschreibung



Dieser Post ist ein kleiner Selbstversuch. Ich werde im Folgenden ein kleines »Making of« über mein eigenes Buch schreiben. Warum? Weil ich zeigen will, was mich dazu angetrieben hat und was für mich das Besondere an »Jenseits der schwarzen Berge« ausmacht.

Als ich merkte, dass aus der Kurzgeschichte, die ich für meine Töchter schreiben wollte, ein Buch werden würde, war mir klar, dass es ein Buch werden sollte, dass ich selbst gerne lesen würde. Über die Jahre, in denen ich phantastsiche Literatur gelesen hatte, war mir der Fantasyeinheitsbrei aus Heldentum, naturbösen Widersachern und »gerechten« Kriegen zuwider geworden.

Unter der Oberfläche lauern die Texte

Ich wollte etwas anderes. Eine kluge Geschichte. Eine mit subtilem Witz. Eine die intelligent gemacht war, ohne dabei überpädagogisch die Moralkeule zu schwingen. Einerseits wollte ich ein klassisches Fantasy-Setting 1, ohne andererseits in tolkiensche Klischees zu verfallen. Sie sollte so beschaffen sein, dass man sie als unbedarfter Leser einfach so ‘runterlesen’ kann, ohne das Gefühl haben zu müssen, ein verkopftes Pamphlet vor sich zu haben. Zugleich sollte sie aber auch weitere Ebenen beinhalten, die sich denen erschließen, die sich im Bereich der phantastischen Literatur (und im Bereich des Phantastischen selbst) ein wenig auskennen.

Im ganzen Buch sind durchweg Anspielungen auf andere Werke der Literatur des Phantastischen versteckt, die sich dem erschließen, der die im Text verborgenen Hinweise zu deuten vermag. Da gibt es zum Beispiel diesen noch recht offensichtlichen Verweis auf Star Trek im Kapitel »Zweifel«, wo Anarias Vater sagt, er wüsste, wie sie sich fühlte, es dränge sie in die Ferne, an Orte, an denen nie ein Mensch zuvor gewesen ist. Daneben gibt es noch eine Reihe subtilerer Anspielungen, von denen man um so mehr ‘ausgraben’ kann, je besser man sich im Genre auskennt. Ich werde hier natürlich nicht mehr verraten. Schließlich will ich meinen Lesern nicht den Spaß verderben, selbst darauf zu kommen, was ich mit der einen oder anderen Stelle gemeint haben könnte 2.

Auch wenn man »Jenseits der schwarzen Berge« als einfachen Jugendroman lesen kann, ist das Buch doch eine Erzählung, die große Themen aufgreift. Es geht darum, hinauszugehen in die Welt, seinen Weg zu finden, den Sprung ins Ungewisse zu wagen, zu erkennen, was möglich ist. »Jenseits« ist aber auch eine Erzählung über die Auswirkungen von Gier und Hybris und ihren Folgen, die selbst dann noch Leid und Gefahr über die Welt bringen können, wenn ihr Verursacher schon längst gestorben ist. Und sie zeigt, dass man ein großes Unheil besiegen kann, wenn man als eine Gemeinschaft handelt, ganz gleich, welcher Herkunft man ist oder welche Eigenschaften man besitzt.

Wenn die eigene Geschichte den Autor überrascht

Inzwischen habe ich Passagen aus meinem Buch auf vielen Lesungen vorgetragen. Trotzdem bin ich immer noch überrascht, was bei den Zuhörern gut ankommt. Es sind nicht die ‘actionlastigen’ Szenen, in denen viel passiert und auch nicht die ‘philosophischen’, in denen Anaria mit den grundlegenden Motiven ihrer Reise konfrontiert wird 3. Wirklich gut laufen die Szenen, in denen meine Protagonisten miteinander interagieren, ein Problem miteinander lösen müssen, oder sich miteinander unterhalten. Ein schönes Beispiel dafür ist das Kapitel »Wissenschaft«, in dem Gingadol, Beren, Anaria, das Einhorn Barin und die beiden Ucca-Kinder Tauwara und Caumara planen, wie sie den Drachen besiegen können. Offensichtlich ist es das Zusammenspiel meiner Figuren, das wirklich gut ankommt.

Die zweite Überraschung war für mich, dass »Jenseits« fast ausschließlich als Jugendbuch wahrgenommen wird, was sich teilweise aus seiner Entstehungsgeschichte erklären lässt. Ich war allerdings nicht darauf gefasst, dass die Wahrnehmung meiner Leser tatsächlich so stark zum Jugendbuch tendiert. Bisher scheint also die ‘erwachsene’ Schicht hinter der Oberfläche in den Augen meiner Rezensenten und Rezensentinnen noch nicht zum Vorschein gekommen zu sein.

Darüber habe ich aber nicht vergessen, dass meine Fantasy-Welt »Tamath« durchaus ihre finsteren Seiten hat. Schon in dem in Arbeit befindlichen Kurzgeschichtenband gibt es einige Stories, die ganz und gar nicht kindlich sind, in denen Geister und Dämonen auftauchen und Diebe von sadistischen Magiern durch finstere Gassen gejagt werden. Auch der in Planung befindliche Band zwei meiner »Legenden von Tamath«-Reihe wird Ereignisse zum Thema haben, die durchaus ernst sind und tief in das Gefüge meiner Welt hineingreifen.

Soweit also zu meinem kleinen »Making of«. Ich hoffe es hat euch gefallen und euch ein wenig neugierig auf das Buch und die Welt, die dahintersteckt, gemacht. Ich arbeite zurzeit neben dem Kurzgeschichtenband daran, das Material für meine Website zur Legendenserie zusammenzustellen, wobei ich nicht versprechen kann, wann es wirklich soweit sein wird. Doch wenn es soweit ist, werdet ihr dort nicht nur Informationen zu meinen Büchern und Projekten finden, sondern auch Hintergrundinformationen zur Welt von »Tamath«, ihren Tieren, Pflanzen und Kulturen.

Wer einen Blick in das Buch werfen (bzw. hineinhören) möchte, kann das hier tun: 


 

  1. Was mir insofern nicht weiter schwergefallen ist, weil ich an meiner Welt »Tamath« baue, seit ich vierzehn war. Material war und ist also reichlich vorhanden.
  2. Neben seiner Eigenschaft, ein Fantasy-Roman zu sein, ist »Jenseits der schwarzen Berge« eine postmoderne Erzählung insofern, als dass sie an vielen Stellen intertextuell angelegt ist und zum Spiel mit diesen Textebenen und Textfolien einlädt. Man gewinnt durch das Eintauchen in diese tieferen Verzweigungen und Verwurzelungen hin zu anderen Texten zusätzlich zum Oberflächentext an Lesefreude hinzu.
  3. Zum Beispiel in einer meiner persönlichen Lieblingsszenen im Buch, wo sie mit Gathnorr, dem Hirten, über den Sinn ihrer Reise diskutiert. Ich finde diese Szene wunderbar und etwas mystisch, aber sie kommt zu meinem Bedauern beim Publikum überhaupt nicht an.

Donnerstag, 4. Februar 2016

HIC SUNT LECTORES – Über den Sinn und Unsinn eines Lektorates im Selfpublishing


Da sich zur Zeit alle Welt an dem Thema »Lektorat -- ja oder nein?« aufhängt, habe ich mich entschieden, nun ebenfalls meinen Senf dazu zu geben. Einerseits bin ich der Meinung, dass kein Text unkorrigiert auf die Welt losgelassen werden sollte, andererseits sehe ich das Problem, dass ein Lektorat, das seinen Namen wirklich verdient, von vielen finanziell kaum darstellbar sein wird.

Ich habe nun schon fünfzehn Jahre Erfahrung im Redigieren und Bearbeiten von Texten. Als Redakteur einer wirtschaftlich-politisch/technischen Zeitschrift ist mir schon jeder Schreibstil vom geschliffenen Agenturtext bis zur Stichpunkteliste eines Maschinenbauingenieurs über den Tisch gelaufen. Insofern weiß ich, dass es Leute gibt, die der Hilfe beim Verfassen von Texten dringend bedürfen. Das gilt auch und besonders für Selfpublisher. Nun mag ich mich aber nicht gerne auf die eine oder andere Seite schlagen, sondern bin immer dafür, die Sache etwas differenzierter zu sehen:

PRO


Der Bedarf an professioneller Unterstützung für Autoren folgt einer Gaussschen Normalverteilung, d. h. es gibt einige wenige, so wie Anja Bagus (die ich sehr dafür achte), die es allein hinkriegen, dann gibt es die große Masse, denen ein Lektorat weiterhelfen kann und schließlich gibt es noch die Wenigen, bei denen auch ein Lektorat nicht mehr helfen würde.

Leider bestimmt dieser Rattenschwanz verlorener Seelen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, jedenfalls, wenn man die Indie-Szene betrachtet. Wenn wieder einmal gegen das Selfpublishing geschossen wird, so kann man fast sicher sein, dass einer dieser unlesbaren, von völlig talentfreien Menschen in die Tastatur gepressten Texte aus der Versenkung hervorgezogen wird, um zu demonstrieren, wie übel es doch ohne eine Kontrollinstanz um den Buchmarkt bestellt ist. Die Folge: In den Köpfen setzt sich fest: »Selfpublishing ist Schund!«

Ein Lektorat oder wenigstens ein Korrektorat kann ein Werk vor den gröbsten Schnitzern bewahren. Insofern würde ich jedem der die Gelegenheit hat, raten, ein solches wahrzunehmen. Ein Lektor kann natürlich auch keine Wunder vollbringen, aber er kann jeden halbwegs ordentlich geschriebenen Text sowohl inhaltlich/logisch als auch in Bezug auf die Orthographie aufwerten (Die meisten Lektoren machen stillschweigend nebenher auch ein »Korrektorat«, d.h. sie achten auch auf die Rechtschreibung des Textes.).

Nun kann man sich fragen: »Was soll das? Lesen kann doch jeder und schreiben hab ich in der Schule gelernt. Warum soll ich dafür bezahlen?«

Ganz einfach: Es besteht ein Unterschied zwischen Lesen und Korrekturlesen.

Wenn man so wie ich lange Zeit damit verbracht hat, die Fehler und Ungereimtheiten in Texten zu finden, bekommt man ein ganz anderes Gespür dafür, was »geht« und was nicht. Das ist wie bei einem trainierten Spürhund, der seine Beute auch im tiefsten Dickicht aufspüren kann. Konkret heißt das, dass ich zum Beispiel an keinem noch so schlichten Text vorbeigehen kann, ohne die Fehler im Text, auf der semantischen Ebene, der Typographie oder im Layout zu sehen (Eines meiner liebsten Beispiele ist die Stilblüte, die einige Zeit lang auf den Packungen einer bekannten Keks-Marke stand: »Recyclinghinweis: Flachgelegt gehöre ich ins Altpapier!« – Es war kein Schelm, der sich das ausgedacht hat, aber man kann Arges dabei denken...).

Wie aber läuft so ein Lektorat konkret ab? Wenn ich ein Manuskript bekomme, gehe ich dieses durch und korrigiere alle Fehler, die ich finden kann. Zudem mache ich an Stellen, wo ich auf logische Fehler oder andere Ungereimtheiten stoße, Anmerkungen, wie diese Probleme zu beheben sein könnten. Manchmal schlage ich auch vor, ganze Absätze zu streichen oder zu verschieben, falls diese an der entsprechenden Stelle nicht passen. Manchmal ist es aber auch nötig, dem Text etwas hinzuzufügen, damit die Logik und Kontinuität des Textes gewahrt bleibt.

Dabei ist immer wichtig, zu bedenken, dass es NIE darum geht, dass ich meine eigene Vorstellung davon, wie der vor mir liegende Text zu sein hat, durchdrücke, sondern darum, dem Autor Vorschläge zu machen, wie er seinen Text besser machen kann. Ich greife zwar in den Text des Autors ein, aber es bleibt immer SEIN Text. Insofern hat das Lektorieren mehr einen therapeutischen als einen technischen Charakter. Ich bin der Berater des Autors, nicht sein Anweiser.

Das ist letztendlich die Dienstleistung, für die man den Lektor bezahlt.

KONTRA


Andererseits kostet so ein Lektorat eine Menge Geld. Da kommt man schnell auf ein Kostenlevel, das ökonomisch für einen kleinen Autor nicht mehr darstellbar ist. Die Rechnung ist dabei ganz einfach: Die Wahrscheinlichkeit, dass man Exemplare in ausreichender Menge verkauft, um das Lektorat und andere Dienstleistungen (Layout, eBook-Erstellung etc.) wieder hereinzuholen, ist nicht sehr groß. Das liegt darin begründet, dass man alle Dienstleistungen anteilig auf den Buchpreis umlegen müsste. Dadurch steigt der Preis für das Exemplar bei einer für ein selbstveleges Buch typischen Auflage von 300-500 Stück so hoch, dass das Buch wesentlich teurer wird als der Durchschnittspreis, der im Selfpublishing üblich ist. Damit wird aber auch das Buch nicht gekauft und die Ratte beißt sich in den Schwanz.

Ein Grund für die prekäre Lage, in der sich Autoren und Lektoren befinden, ist darin zu suchen, dass das Buch von den Kunden inzwischen als Commodity (Eine Ware, die sich von anderen Büchern nur durch die Menge und den Preis absetzt.) gesehen wird. Wer kennt nicht die Posts, in denen es heißt, »Ich habe wieder 20+X Bücher bei Rebuy gekauft!« Es ist also schwierig, das Geld, welches man in ein Lektorat investiert, auch wieder hereinzuholen.

Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass es für die Lektoren schwierig wird, von Selfpublishern Preise zu verlangen, die wirtschaflich angemessen sind. Das ist einer der Gründe für mich, meine Fähigkeiten nicht regelmäßig als Lektor im Nebenverdienst, sondern nur gelegentlich ausgewählten Freunden und Bekannten anzubieten (und dann im Wesentlichen auf Gegenseitigkeit). Das Geld, was die Autoren in der Regel zu bezahlen bereit sind, wiegt den Arbeitsaufwand (ca. 30 Stunden für ein 300-Seiten-Buch), den ich damit habe, nicht auf.

Deshalb kann ich jeden Selfpublisher verstehen, der sagt, »Ich kann mir im Moment kein Lektorat leisten!« Letztendlich läuft es ganz unideologisch auf die Frage hinaus, ob sich die Kosten wirtschaftlich darstellen lassen. Man muss jetzt allerdings nicht glauben, dass man (zumindest was Klein(st)verlage betrifft) als Verlagsautor garantiert besser fährt. Mir sind Verlage bekannt, die ihren »Lektoren« eine Pauschale von 50 Euro pro Buch bezahlen. Das sind dann meistens Studenten, die sich ein Zubrot verdienen oder verzweifelte Seelen. Wie gut so ein Lektorat ausfällt, kann man sich denken.

Nun bleibt noch eine Frage: Was kann man tun, wenn man sich ein Lektorat, dass diesen Namen verdient, schlicht nicht leisten kann?

Eine Möglichkeit ist, sich mit anderen Autoren zusammenzutun und gegenseitig die Texte der Anderen zu redigieren. Gut ausgewählte Testleser können ein Lektorat zwar nicht ersetzen, sind aber ein möglicher Behelf. Wichtig ist dabei, dass man sich Personen sucht, die nicht nur ein Geschmacksurteil abgeben, sondern auch auf die technische Seite des Textes achten.

Man kann sich mit anderen Autoren zu einem Kollektiv zusammenschließen, um gegenüber den Lektoren bessere Angebote machen zu können, indem man zum Bespiel Bündelangebote macht (Im Sinne von »Wir sind ein Kollektiv von X Autoren, mach uns ein gutes Angebot und du bekommst von uns allen Lektoratsaufträge.« – Es geht nichts über eine Reihe gesicherter Aufträge). Das kann soweit gehen, dass man eine Autorengenossenschaft gründet, die neben dem Lektorat auch noch andere Dienstleistungen günstiger einkaufen kann (z. B. Layout, Cover usw.).

Ein Lektorat ist hilfreich, wenn man es sich leisten kann

Welches Fazit möcht ich nun, wo wir zum Schluss des Artikels kommen, ziehen? Ein Lektorat wird für die meisten Selfpublisher sinnvoll sein, aber man muss sehen, dass die Kosten, die es verursacht, auch wieder hereingespielt werden. Bei vielen wird das nicht der Fall sein, insofern ist es von Bedeutung, hier Alternativen zu finden, die das fehlende Lektorat zumindest teilweise kompensieren können. Ein fester Stamm von Test- bzw. Korrekturlesern, die mehr können als zu sagen »gefällt mir« oder »gefällt mir nicht« ist dabei ein guter Anfang.