Freitag, 12. Oktober 2012

Schiffsdiebe von Paolo Bacigalupi

Wie liest man einen Roman, der in Amerika als Science Fiction für Erwachsene gelesen wird, aber hierzulande eher als Buch für junge Erwachsene gehandelt wird?
Das Buch schafft es, die Lebenswelt der Schiffsbrecher plausibel darzustellen und die Bilder, die wir heute zum Beispiel aus Ländern wie Indien kennen auf ein zukünftiges Nordamerika zu übertragen.
Der Roman hätte wesentlich düsterer ausfallen können, bleibt aber hinter seinen Möglichkeiten zurück und löst so nicht ein, was ich von einem Buch erwarte, das für Erwachsene geschrieben wurde. Insofern erklärt sich die Einstufung der deutschen Übersetzung als «Young Adult Fiction». Das es sich bei der Erzählung um eine Adoleszensgeschichte handelt, ist dem Eindruck, einen Erwachsenenroman vor sich zu haben, ebenfalls nicht dienlich.

Ich will damit nicht sagen, dass der Roman technisch nicht in Ordnung wäre, er ist gut geschrieben, die Handlung entwickelt sich stringent, wenn auch etwas linear (wie von einer klassischen Heldenreise nicht anders zu erwarten). Es ist auch offensichtlich, dass es dem Autoren gelingt, seine Welt plausibel zu gestalten und heutige Tendenzen in die Zukunft zu extrapolieren. Das Problem des Romans liegt vielmehr darin begründet, dass der Autor nicht weit genug in die Tiefe geht. Er nutzt das Potenzial, das die Welt, die er geschaffen hat, bietet, nicht aus.

Man hätte zum Beispiel die Herkunft der Halbmenschen näher beleuchten, ihren Sklavencharakter stärker herausarbeiten können. So hätte sich aus der Figur Tools wesentlich mehr machen lassen als bloß ein mächtiger Beschützer, der schon bald wieder abtritt. Auch der Verrat Sloths an Nailer und dessen Folgen wären ausbaufähig gewesen. Im Prinzip krankt die ganze Erzählung daran, dass sie eben nicht die Abgründe auslotet, die implizit in ihr angelegt sind. Dem Roman hätte insgesamt mehr Raum gegeben werden müssen. Die Folge ist, dass er endet, bevor die Entwicklung tatsächlich in Gang gekommen ist.

Das ist besonders deutlich, wenn es um die Schiffsreise auf dem Klipper geht. Nachdem zwei Drittel der Erzählung für die Flucht aus dem Schiffsbrecherlager in die Stadt verwandt wurden, bleibt nicht mehr viel Zeit, um das Leben auf dem Schiff darzustellen. Hier hätte man an die klassischen (See-)-Reiseerzählungen von der Odyssee bis zu Melvilles Moby Dick anknüpfen können, was aber leider nicht geschehen ist. Nailers Arbeit auf dem Schiff ist ebenfalls schnell und ein wenig oberflächlich abgehandelt.

Schließlich kehrt er mitsamt der Dauntless (das Schiff, dass der Firma des Vaters von Nita gehört) an den Ort zurück,den er am Anfang seiner Reise zurückgelasen hat, um seine Gegner und seinen ihn misshandelnden Vater zu besiegen. Der Roman endet damit, dass ihm und seiner Familie (Freundin + Mutter) die Chance auf ein besseres Leben gewährt wird. -- Bei diesem Erzählablauf handelt es sich um die klassische Reise des Helden, wie sie von Joseph Campell beschrieben wurde: Der Held (Nailer) wird unverschuldet aus seinem alltäglichen Leben gerissen. Er begegnet einem Wesen aus einer anderen Welt (in diesem Falle aus einer kulturell anderen Schicht), das ihn auf eine Reise schickt, er muss Ungeheuer überwinden (seinen Vater und dessen Kumpane), bekommt auf seiner Reise übernatürliche Hilfe (in Form von Tool), muss weitere Hindernisse überwinden und sich in einer Schwellensituation (Übergang zwischen Wasser und Land in einer Stadt die auf Stelzen steht) bewähren, um schließlich mit neuen Fähigkeiten und Gefährten an den Ort seiner Herkunft zurückzukehren, um das Böse zu zerstören und die Ordnung der Dinge wieder herzustellen.

Wer sich bei diesem Ablauf der Handlung an die originale Star Wars-Trilogie erinnert fühlt, liegt nicht falsch, da auch George Lucas sich an den Theorien Campells orientiert hat.
Was nach der Lektüre bleibt, ist das Gefühl, dass man aus dem Grundgerüst der Erzählung mehr hätte machen können, etwas tiefergehendes, komplexeres als das, was nun als Buch vor den Augen des Lesers liegt. Hier wurde offensichtlich eine gute Idee verschenkt und ein Brett gebohrt, das wesentlich dicker hätte sein können, schade!

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