Mittwoch, 8. Dezember 2010

Die Publishing-Plattform Bookrix

Bookrix ist eine Selfpublishing-Plattform, die dem User die Möglichkeit gibt, jeden beliebigen Text als EBook zu veröffentlichen. Das ist einerseits reizvoll, wenn man einem Text noch nicht hundertprozentig vertraut oder einen neuen Stil bzw. eine neue Idee ausprobieren will. Andererseits bewirkt die fehlende redaktionelle Auswahl, das wirklich jeder seine Texte ohne diese von jemanden gegengelesen zu haben veröffentlichen kann. Die Folge ist, dass man nicht nur Experimentelles auf Bookrix finden kann, sondern auch jede Menge Material von Leuten die sich als Autoren verstehen, aber nicht das Potenzial haben, auch einer zu sein. Mit anderen Worten: Bevor man dort eine Perle findet, muss man sich durch einen Haufen Textmaterial von fragwürdiger Qualität wühlen.

Ich will damit nicht das Engagement der Leute schmälern, die dort veröffentlichen, aber bevor man einen literarischen Text an die Öffentlichkeit bringt, sollte man diesen wenigstens von einer anderen Person gegenlesen lassen. Wenn diese Person noch dazu einen Beruf ausübt, der mit Texten zu tun hat (Lektor, Redakteur, Texter, Schauspieler etc.), umso besser. Ansonsten sind die Ergebnisse freundlich gesehen von naivem Charme, schlimmstenfalls sind sie einfach nur peinlich. Selbst wenn man sich keinen Lektor leisten kann oder zufälligerweise im Bekanntenkreis gerade keinen zur Hand hat, ist es schon hilfreich, wenn man sich unter Gleichgesinnten austauscht. Leute lest eure Texte gegenseitig gegen, das hilft!

Die Tribute von Panem

Normalerweise bin ich kein Fan von Büchern, die gehyped werden, was im Wesentlichen darin begründet liegt, dass ich ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen Dinge habe, die alle mögen, obwohl sie von der Sache keine Ahnung haben.

Manchmal geht diese Haltung aber auch nach hinten los, wenn die große Masse tatsächlich mal etwas gefunden hat, dass wirklich interessant oder lesenswert ist (Das ist übrigens der Grund, warum ich erst spät die Harry Potter-Bände gelesen habe. Ich mochte sie nicht lesen, solange der Hype um Rowlings Bücher anhielt). Bei den Tributen von Panem wäre mir das fast ähnlich ergangen. Als mein Freundeskreis an mich herantrat und sagte, "Hey das Buch ist gut, dass musst du unbedingt gelesen haben!", bin ich erstmal instinktiv zurück gezuckt, habe mich dann aber doch dazu durchgerungen, den ersten Band in die Hand zu nehmen.

Der Beginn der Tribute von Panem schien mir nur langsam in Fahrt zu kommen, wobei ich im Nachhinein denke, dass diese langgestreckte Exposition notwendig ist, um dem Setting der Erzählung Raum zu geben. Der Leser muss mit den Lebensumständen und den Gewohnheiten der Protagonistin Katniss vertraut werden, um zu verstehen, wie Sie sich später in der Arena verhält. Zudem vermittelt die ausführliche Beschreibung des Lebens in Sektor 12 ein Gefühl dafür, wie es wäre unter solchen dystopischen Umständen zu leben. Es verstärkt ausserdem den Kontrast zwischen den ärmlichen Verhältnissen in Sektor 12 und den hochtechnisierten und Fortschrittlichen Leben im Kapitol (wobei dieses Leben in Dekadenz umgeschwenkt ist).

Interessant am ersten Band der Tribute ist der Punkt, dass die Vorbereitungen zu den Hungerspielen eine deutliche Anspielung auf heutige Castingshows sind (wobei die Gecasteten unfreiwillig teilnehmen). Durch diesen Castingshow-artigen Charakter kontrastiert das Drumherum der Hungerspiele zu den Ereignissen in der Arena, de einerseits hochtechnisierten Gladiatorenspielen gleicht, andererseits aber nur die konsequente Weiterentwicklung heutiger Spielshows wie »American Gladiator« zu sein scheint. Auch das Buhlen um Sponsorengelder und die Aufmerksamkeit des Publikums erinnert an Sportveranstaltungen oder Castingshows.

Zugleich wird aber auch deutlich, dass die »Kandidaten« Gefangene sind — ein Topos, der auch aus Filmen wie »Running Man« oder »Das Todesspiel« bekannt ist. Der Kampf in der Arena selbst hat deutliche Anleihen an antike Vorbilder, beginnend bei dem Füllhorn oder der Ausrüstung der Kämpfer und Kämpferinnen, die an deren Herkunft angepasst ist. Der Arena wird aus der Perspektive von Katniss geschildert, wobei sich die Narration in zwei Ebenen aufteilt. Die eine ist die Ebene der physischen Geschehnisse, in der das Handeln der einzelnen Figuren dargestellt wird. Die zweite Ebene gibt uns Einblick in die Gefühlswelt von Katniss und kommentiert durch deren Wahrnehmungen und Emotionen das Äußere Geschehen, das dadurch semantisch aufgeladen wird.

Eine dritte Komponente kommt durch Katniss ambivalente Haltung Peeta gegenüber ins Spiel, den sie einerseits mit ihrem Leben zu schützen sucht, von dem sie andererseits glaubt, dass sie ihn nicht lieben würde. Das Dilemma, in dem sie gefangen ist (einerseits Peeta beschützen zu wollen, andererseits damit auf die Situation hinzusteuern, die sich zwangsläufig aus dem Ende der Spiele ergeben muss — nämlich gegen Peeta antreten zu müssen) befeuert den Konflikt, in dem sich Katniss befindet. Es lässt sich nur auflösen, indem sich Katniss zu einer radikalen Konsequenz entschließt, nämlich zu drohen, sich selbst und Peeta zu töten, so dass die Hungerspiele ohne Sieger dastünden. Interessanterweise wird hier die Romeo und Julia-Thematik mit dem Motiv des Zivilen Ungehorsams verknüpft (Selbsttötungen als Protestform gegen autoritäre Regime hat es zum Beispiel von budhhistischen Mönchen gegeben). Auch wenn die Handlung Katniss aus Trotz und nicht aus politischen Motiven geschehen ist, wirkt sie dennoch als Symbol des passiven Widerstands.

Insgesamt hinterlässt das Buch einen guten Eindruck. Es setzt sich von anderen für »junge Leute« konzipierten Science-Fiction-Romanen ab, indem es grundlegende gesellschaftliche Konflikte thematisiert, ohne dabei offen moralisierend oder belehrend zu sein. Zudem ist die Erzählung nicht eine bloße Aneinanderreihung von Abenteuern an exotischen Orten, sondern erhält durch die Darstellung der ambivalenten Gefühle der Protagonistin eine tiefere semantische Ebene.

Tatsächlich folgt die Erzählung einem ganz klassischen Schema: Dem »Helden« wird durch eine äußere Macht ein Abenteuer weit entfernt von der Heimat aufgezwungen, das Ziel der Protagonisten und ihrer Gefährten ist, in die Heimat zurückzukehren, wo die Familie wartet. Schon in der Odyssee folgt die Handlung einem ähnlichen Schema. Der Held wird von den Göttern gezwungen, sich auf eine Irrfahrt zu begeben, bevor er in die Heimat zurückkehren kann. Und dies kann nicht geschehen, bevor er sich in Lebensgefahr begeben und alle Hindernisse überwunden hat, die sich ihm in den Weg stellen.

Insgesamt ist der Roman auch für Erwachsene eine kurzweilige Lektüre, die sich jenseits der in der Science-Fiction üblichen Klischees bewegt und der es gelingt, die Welt, vor deren Hintergrund sich die Handlung entspinnt, plausibel zu schildern. Nach der ausführlichen Exposition nimmt die Erzählung schnell an Fahrt auf, wobei die Differenz zwischen Schein (z. B. Hochtechnologie, Starrummel und die Zurschaustellung von Luxus) und Wirklichkeit (z. B. Kolonialismus, Sklavenhaltung und Gladiatorenkämpfe) Spanung aufbauen. Dabei wird die Spannung dadurch gesteigert, dass die Wirklichkeit immer wieder in den Schein einbricht (Durch die Avox, die Energiebarrieren auf dem Dach des Gebäudes, in dem sich die Tribute aufhalten müssen, oder auch durch Haymitch) so dass die Fassade der Kultiviertheit heruntergerissen wird. Mit den Hungerspielen schließlich entläd sich die Spannung in einem furiosem Finale in den Gladiatorenkämpfen der Hungerspiele, durch eine überraschende Wendung ein unerwartetes Ende finden. Katniss gefährdet durch eine einzige impulsive Handlung das System des Kapitols, indem sie den Beerentrick anwendet und durch die Androhung des gemeinsamen Freitodes den Herrschenden ihr Machtmittel zu entziehen droht (Romeo und Julia).
Leider ist, kurz nachdem mein Netbook wieder funktionsfähig war, mein PC abgeraucht. zur Zeit bin ich noch dabei, meine Datenbestände neu aufzuarbeiten. Da ist es gut, dass ich ein fleißiger Mit-der-Hand-Schreiber bin und fast alles, was ich so geschrieben habe auch in meinen Notizbüchern habe.

Demnächst gibt es einen Post zu den Tributen von Panem.